Einleitung

In der Schule werden sehr häufig zur Bestimmung des pH-Werts Universalindikatoren [2] eingesetzt. Diese weisen aber keine deutlichen Umschlagspunkte, z. B. von farblos nach farbig, auf und sind daher für Titrationen nur bedingt geeignet. Phenolphthalein soll von Schülern, wegen seiner KMR-Einstufung (Muta. 2, Carc. 1B, Repr. 2), nicht mehr verwendet werden [3]. Der hier vorgestellte Brombeerindikator eignet sich als Ersatzstoff von Phenolphthalein, denn er besitzt zwei sehr deutliche Umschlagspunkte (pH ≈ 2.3 und pH ≈ 7.7) und sehr kräftige Farben.

 

Verwendete Chemikalien

Chemikalie

 

250 g Brombeeren

 

23.63 g Natriumsulfit, Na2SO3 – 126.04 g/mol

Dinatriumsulfit (IUPAC), Schwefligsaures Natrium, E 221

CAS-Nr.: 7757-83-7 – EG-Nr.: 231-821-4

WGK 1

EUH031 Entwickelt bei Berührung mit Säure giftige Gase.

Sigma-Aldrich, 31454, SDB vom 27.09.2020

 

Verwendete Geräte, Versuchsaufbau

Waage, Mörser mit Pistill, 6 × 250-ml-Bechergas, Glasstäbe, Sieb, Glastrichter mit Rundfilter oder Zentrifuge, 250-ml-Braunglasflasche

 

Versuchsdurchführung

Die gefrorenen Brombeeren sollten bei Raumtemperatur auftauen. Alternativ können diese auch für 30 Sekunden mit heißem Wasser übergossen werden (geringer Farbverlust!).

In einem Becherglas werden 23.63 g Natriumsulfit eingewogen, mit dest. Wasser auf 250 g aufgefüllt und durch Umrühren gelöst (Natriumsulfit-Lösung c(Na2SO3) ≈ 0.75 mol/L).

Die Brombeeren werden in 5 Portionen je 50 g aufgeteilt, in einem Mörser zerrieben und in ein Becherglas gegeben. Nun 50 mL der Natriumsulfit-Lösung zugeben und bis zur Entfärbung umrühren. Grobe Stücke der Brombeeren werden mit einem Sieb entfernt. Die erhaltene Suspension kann nun filtriert (dauert etwas länger) oder zentrifugiert (ca. 5 Minuten bei 6000 Umdrehungen pro Minute) werden. Die erhaltene Indikator-Lösung wird in eine Braunglasflasche gefüllt und ist sofort einsetzbar.

Nach etwa einer Woche sollte nochmals filtriert bzw. zentrifugiert werden, da sich in dieser Zeit wieder Schwebstoffe gebildet haben. Werden die Schwebstoffe nicht entfernt, könnte es zur Schimmelbildung kommen. Der schwebstofffreie Indikator hat eine Haltbarkeit von sechs Monaten.

 

Reaktionsgleichung

Das Farbverhalten lässt sich durch den hohen Anteil des Anthocyans Cyanidin-3-O-glucosid (Chrysanthemin) (Abb. 1a) erklären. Der Gesamtfarbstoffgehalt beträgt bis zu 95 %, je nach Brombeersorte. Es zeigt sich dadurch keine Farbüberlagerung wie bei den meisten anderen Früchten. Allerdings wurde beim Monoglucosid kein farbloser Bereich gefunden. Der Farbverlauf stimmt eher mit dem des Cyanidin-3,5-O-diglucosids (Abb. 1b) überein. Cyanidin-3,5-O-diglucosid (Cyanin) zeigt ähnliche zeitversetzte Verfärbungen wie der Brombeerindikator [4].

Abb. 1 – a) Strukturformel von Cyanidin-3-O-glucosid, b) Strukturformel von Cyanidin-3,5-O-diglucosid
Abb. 1 – a) Strukturformel von Cyanidin-3-O-glucosid, b) Strukturformel von Cyanidin-3,5-O-diglucosid

Das Flavylium-Systems hat eine komplizierte Reaktionskinetik (Abb. 2). Durch eine schnelle direkte Deprotonierung des Flavylium-Kations bildet sich eine chinoide Anhydrobase. Von dieser existieren zwei tautomere Formen, welche mit der Carbinolbase im Gleichgewicht stehen. Diese Base entsteht durch Abspaltung eines Hydratprotons und der etwas langsameren, gleichzeitigen Anlagerung eines Wassermoleküls (Abb. 2). Der pH-Wert hat auf das Gleichgewicht keinen Einfluss und liegt weitgehend auf der Seite der Carbinolbase. Der indirekte Prozess, von der chinoiden Anhydrobase zurück über das Flavylium-Kation, ist schneller als die direkte Umwandlung der chinoiden Anhydrobase in die Carbinolbase [5]. Man bezeichnet dies als »Dreieckskinetik«, was zunächst paradox erscheint, aber mathematisch simuliert werden kann [4]. Durch die schnellere Deprotonierung des Flavylium-Kations zur chinoiden Anhydrobase stellt sich das erstere Gleichgewicht schnell ein. Die chinoide Anhydrobase verschwindet durch die nachfolgende Gleichgewichtseinstellung mit der Carbinolbase wieder. Die zweite – eigentliche – Gleichgewichtseinstellung ist bei niedrigen pH-Werten noch schnell genug, sodass die Lösung farblos ist. Jedoch wird sie bei höheren pH-Werten sehr langsam. Dies zeigt sich durch die Erkennbarkeit der lilafarbenen Form der chinoiden Anhydrobase. Die Dreieckskinetik ist dafür verantwortlich, dass eine Lösung von Cyanidin-3,5-O-diglucosid im Bereich 4 < pH ≤ 5 farblos, im Bereich 5 < pH ≤ 7 lila ist und die lila Färbung nach ca. 30 Minuten wieder nach farblos umschlägt.

Abb. 2 – Schema zur vereinfachten Darstellung der Gleichgewichte zwischen verschiedenen Protolysestufen des Cyanidin-3,5-O-diglucosids (nach [5], [6], [7])
Abb. 2 – Schema zur vereinfachten Darstellung der Gleichgewichte zwischen verschiedenen Protolysestufen des Cyanidin-3,5-O-diglucosids (nach [5], [6], [7])

Eine blaue Färbung erhält man im stärkeren alkalischen Bereich. Ab einem pH-Wert > 8 schlägt die Farbe nach einiger Zeit erst nach grün und dann nach gelb um. Dieser grün-gelb Umschlag wird durch eine pH-Werterhöhung wesentlich beschleunigt. Die Farbeindrücke lassen sich den elektronischen Strukturen der Moleküle (Abb. 2) zuordnen [8]. Die Gelbfärbung entsteht durch die Bildung des Chalkon-Anions. Anfangs bildet sich nur die cis-Form. Nach ca. 20 Stunden kann zusätzlich auch das trans-Anion im Absorptionsspektrum beobachtet werden [4]. Diese cis-trans-Isomerie hat keinen Einfluss auf die Färbung der Lösung und ist gleichzeitig der langsamste Prozess des Systems [9]. Sie ist deshalb nicht in Abb. 2 berücksichtigt. Ein Bianion könnte durch weitere Deprotonierung gebildet werden und wäre nur über das Chalkon-Anion möglich [7]. Beim direkten Vergleich zwischen dem Brombeerindikator und einer wässrigen Cyanin-Lösung stechen zwei wesentliche Unterschiede hervor. Zum einen der vergrößerte farblose pH-Bereich und zum anderen die große Stabilität der ionischen Anhydrobase – für diese scheint das Sulfit-Anion verantwortlich zu sein. Eine stattfindende Bisulfit-Reaktion ist naheliegend, bei der das nucleophile Sulfit-Anion, anstatt einer Hydroxygruppe, direkt an das positivierte Kohlenstoffatom (Position 2) addiert wird. Das konjugierte π-System würde sofort unterbrochen werden, da es schneller zur sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffatoms kommt. Diese Addition ist reversibel [10]. Die experimentellen Beobachtungen bestätigen, dass Sulfit die farblose Form stabilisiert. Die im alkalischen Milieu sehr verlangsamt ablaufende Gelbfärbung des Brombeerindikators, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.

 

Medien

Abb. 3 – pH-Farbskala des Brombeerindikators [1].
Abb. 3 – pH-Farbskala des Brombeerindikators [1].

 

Quellenangaben

[1]
D. Jansen, F. Hauswald, und F. Romer. Der Brombeerindikator – ein alltagsnaher Ersatzstoff für eine Phenolphthalein‐Lösung. CHEMKON 2019, 26 (7), 307–311. DOI: 10.1002/ckon.201900023
[2]
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg. Bildungsplan des Gymnasiums, 2016, 19. https://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_CH.pdf [09.01.2022]
[3]
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Liste der krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Stoffe (KMR-Stoffe). DGUV Publikationen, 2021. https://publikationen.dguv.de/forschung/ifa/allgemeine-informationen/3517/liste-der-krebserzeugenden-keimzellmutagenen-und-reproduktionstoxischen-stoffe-kmr-stoffe [09.01.2022]
[4]
A. Specker. Farbmetrische Analyse des pH-Umschlags von Pflanzenfarbstoffen. Wissenschaftliche Arbeit für das Staatsexamen für höheres Lehramt. Universität: Konstanz, 2013, 12–105.
[5]
R. Brouillard und B. Delaporte. Chemistry of Anthocyanin Pigments. 2. Kinetic and Thermodynamic Study of Proton Transfer, Hydration, and Tautomeric Reactions of Malvidin 3-Glucoside. J. Am. Chem. Soc. 1977, 99 (26), 8461–8468. DOI: 10.1021/ja00468a015
[6]
J. M. Baranac und D. S. Amic. Structural Transformations of Apigeninidin-Type Flavylium Salts. J. Agric. Food Chem. 1990, 38 (12), 2111–2115. DOI: 10.1021/jf00102a002
[7]
R. Brouillard und J.-E. Dubois. Mechanism of the Structural Transformations of Anthocyanins in Acidic Media. J. Am. Chem. Soc. 1977, 99 (5), 1359–1364. DOI: 10.1021/ja00447a012
[8]
G. Mazza und R. Brouillard. Color Stability and Structural Transformations of Cyanidin 3,5-Diglucoside and Four 3-Deoxyanthocyanins in Aqueous Solutions. J. Agric. Food Chem. 1987, 35 (3), 422–426. DOI: 10.1021/jf00075a034
[9]
R. Brouillard und J. Lang. The Hemiacetal–Cis-Chalcone Equilibrium of Malvin, a Natural Anthocyanin. Can. J. Chem. 1990, 68 (5), 755–761. DOI: 10.1139/v90-119
[10]
J. Clayden, N. Greeves und S. G. Warren. Organische Chemie, Springer Spektrum: Berlin, 2013, 153, 165.

 

Download

Brombeerindikator als Ersatz von Phenolphthalein

 

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